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Ein unterschätztes Zusammenspiel in der täglichen Praxis

Wurzelkaries wird in Fachartikeln längst als zunehmende Herausforderung in der Zahnmedizin beschrieben – und die Daten der DMS V und VI sprechen eine deutliche Sprache: Wir haben es mit einer Erkrankung zu tun, die in der alternden Bevölkerung massiv zunimmt. Doch die entscheidende Frage ist: Haben wir als Behandler:innen unseren Blick wirklich geschärft, um die Frühzeichen rechtzeitig zu erkennen und Patient:innen entsprechend aufzuklären?

Denn Wurzelkaries ist kein reines „Seniorenthema“. Freiliegende Zahnhälse begegnen uns in jeder Altersgruppe – sei es durch parodontale Rezessionen, Überbelastung (Knirschen, Pressen) oder falsche Putztechnik. Und genau an dieser Stelle lohnt sich ein differenzierter Blick, der über das klassische Risikomanagement hinausgeht. 

Dentin unter Stress: Warum das Risiko höher ist als gedacht

Wir wissen: Dentin ist deutlich anfälliger für Demineralisation als Zahnschmelz. Der kritische pH-Wert liegt bei 6,0–6,8, während er bei Schmelz erst um 5,7 erreicht ist. Damit wird klar: Schon kleine Veränderungen im oralen Milieu können für freiliegendes Dentin problematisch werden. Eine unterschätzte Variable in diesem Kontext ist die Mundatmung. Studien zeigen, dass bei nächtlicher Mundatmung der pH-Wert im Speichel auf Werte um 6,1 absinken kann – also genau in dem Bereich, in dem Demineralisation von Wurzeldentin beginnt. Für Patient:innen mit exponierten Wurzeloberflächen ist das ein erhebliches Risiko, das wir in der täglichen Diagnostik und Beratung aktiv berücksichtigen sollten. 

Prävention beginnt früher: Mehr als nur Fluorid 

Aktuelle Leitlinien und systematische Reviews belegen die Effektivität hochkonzentrierter Fluoridpräparate (z. B. 5.000 ppm Zahnpasten oder 38 % SDF) in der Therapie und Prävention von Wurzelkaries. Doch die entscheidende Frage ist: Greifen wir nicht zu spät ein, wenn wir erst an dieser Stelle ansetzen? Ein umfassendes Präventionskonzept muss frühzeitig Risiken erkennen und adressieren:

  • Okklusale Überbelastung: Bruxismus und Pressen als Trigger für Rezessionen ernst nehmen.
  • Mundatmung: Patienten auf Atemmuster aufmerksam machen und interdisziplinär begleiten (z. B. mit HNO oder Schlafmedizin).
  • Speichelfluss & Parasympathikus: Unterstützung durch gezielte Aktivierung (z. B. Kauen, Ernährung, Atemübungen) kann die Pufferkapazität stabilisieren.
  • Individuelle Aufklärung: Patienten müssen verstehen, dass freiliegende Zahnhälse nicht nur ein „ästhetisches Thema“ sind, sondern eine ernsthafte Karies-Risikozone. 

Praxisrelevanz: Fragen, die wir uns stellen sollten:

  • Klären wir Patient:innen mit Rezessionen konsequent über das Risiko von Wurzelkaries auf?
  • Fragen wir aktiv nach Mundatmung, Mundtrockenheit oder Schlafproblemen?

  • Nutzen wir die Chance, präventiv in die Lebensgewohnheiten einzugreifen, bevor es zur invasiven Therapie kommt?

Fazit: Den Blick schärfen – über die Standardprophylaxe
hinaus

Wurzelkaries ist mehr als eine „altersassoziierte Erkrankung“. Sie ist ein Spiegel für multifaktorielle Einflüsse – und die Mundatmung ist dabei ein Risikofaktor, den wir noch stärker ins Bewusstsein rücken sollten.
Die Herausforderung für uns als Zahnärzt:innen liegt darin, über die klassischen Fluoridkonzepte hinauszudenken und die Verknüpfung zwischen pH-Wert, Atemmuster, Speichel und okklusaler Belastung in die Patientenkommunikation aufzunehmen.

Denn nur wenn wir Risiken früh erkennen und adressieren, können wir verhindern, dass aus einem „freiliegenden Zahnhals“ eine therapiebedürftige Wurzelkaries wird.

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